Brief von Franz Xaver Gabelsberger an Heinrich Posener
    vom 18. September 1845

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Übertragung:

Brief vom 18. September 1845

Dieser Brief wurde zuvor erst teilweise veröffentlicht (Robert Fischer: "Briefe Gabelsbergers an Heger, Posener und Anders", Leipzig 1890, S. 105 f.)  

Mein lieber herzensguter Heinrich!

Obgleich ich nur noch Augenblicke Zeit habe, so muß ich doch noch an Sie ein paar Zeilen beilegen zur Antwort auf Ihren freundlichen Brief. Ihre ausführliche Nachricht über die mit sehr viel Ehre bestandene Prüfung in der Stenographie hat mich überaus erfreut, wie nicht minder die Nachricht von Ihrem vollen Fortgang in Ihren Studien. Ich gratuliere Ihnen von Herzen dazu; fahren Sie nur so fort. Seien Sie jetzt in der Vakanz recht lustig. Lassen Sie aber dann bei einsetzendem Schuljahr nicht aus und studieren Sie tapfer fort. Was man lernt, lernt man fürs Leben, und je mehr man sich durch eifrige Ausbildung in allem Nützlichen über andere erschwingt, desto froher sind die Aussichten auf die Zukunft. Es kommt dann schon auch eine Zeit, wo man sich an den Früchten des Fleißes laben und sich wieder etwas mehr Ruhe gönnen kann. In der Jugend muß man sich den Stab schneiden, an den man sich im Alter anhalten kann! Papa und Mama sollen an Ihnen Freude erleben und dazu möchte ich auch gerne etwas beitragen.

Was Ihre Fortübung in der Stenographie betrifft, so wiederhole ich den Rat, daß Sie sich jetzt vornehmlich darauf verlegen sollen, mit der Feder recht schön, rein und fleißig stenographieren zu lernen, damit sich Ihre Hand in guten, deutlichen und leserlichen Zügen einübt und sie sich durch allzu anhaltendes Schnellschreiben nicht verderben, sonst würde Ihre Schrift mehr und mehr an dem Vorzug der Leserlichkeit und der Bestimmtheit des Ausdrucks verlieren, was am Ende zu mancherlei Nachteil führen würde. Für jetzt ist das Bedürfnis des Schnellschreibens für Sie noch nicht so sehr gegeben und nach und nach ergibt sich dies ohnehin von selbst .

Damit Sie nun ein Muster haben, wie ich gern sehen würde, daß sich Ihre Hand allmählich ausbilden möchte, schicke ich Ihnen in umstehendem Blatt wieder eine kleine Vorschrift, enthaltend eine kleine Parabel, die Ihnen zuerst als Leseübung dienen kann, indem verschiedene Kürzungen darin vorkommen, die Ihnen noch nicht so geläufig sein werden, z. B. die Andeutung verschiedener Verba bloß durch ihren inlautenden Vokal, daß also z. B. "a" nicht bloß immer "war" heißt, sondern auch oft ein anderes Verbum vertreten kann, in welchem im Imperfektum ein a lautet, z. B. "sah, kam, lag" und dgl., so auch "iß, oß" für Verba, welche auf "iß, oß" endigen und dgl.

Wenn Sie dann das Ganze im Lesen gut herausgebracht haben, dann schreiben Sie, so oft Sie ein wenig Zeit haben, ein kleines Stück davon, und öfter, ab, so rein und kalligraphisch als es Ihnen möglich ist und allmählich immer von Wort zu Wort ein weniger flüssiger, auch ungefähr in der Größe und Zeilenweite, wie meine Vorschrift, und so üben Sie sich fort im Reinschreiben; Sie werden sehen, daß es Ihnen großen Vorteil bringt und daß Sie am Ende schnell, richtig und ziemlich rein zugleich schreiben lernen. Versehen Sie sich dabei immer mit guter, scharfer, elastischer Feder; denn wie in vielen anderen Leistungen der Kunst, so macht auch hier ein gutes Handwerkszeug sehr viel aus. Wer auf dieses etwas hält, beweist schon voraus, daß er sich über den Stümper erschwingen will und er bringt allmählich Effekte hervor, die einem anderen, der auf gutes Werkzeug nicht viel achtet, nie recht gelingen wollen. Letzterer arbeitet sich oft schwerer, und er weiß nicht warum. Wenn Sie dann glauben, daß Sie auch in der Kalligraphie, die ich Ihnen auch bei der gewöhnlichen Schrift als einen nicht außer acht zu lassenden Gegenstand empfehle, etwas größere Fortschritte gemacht zu haben glauben, so werden Sie mir eine große Freude bereiten, wenn Sie mir einmal eine Abschrift von meiner Parabel zur Probe schicken. Ich lasse Ihnen hierzu Zeit bis Neujahr oder Ostern, dann bekommen Sie von mir auch wieder etwas.

Und nun, lieber Herr Heinrich, grüße ich Sie herzlich, und ich vertraue ganz darauf, daß Sie Ihren bis jetzt so gut eingeschlagenen Weg so fortschreiten; empfehlen Sie mich Ihrer schätzbaren Frau Mama und Ihren lieben Geschwistern. Ich verbleibe mit aufrichtiger Ergebenheit

Ihr

aufrichtig gesinnter Freund Gabelsberger

München, den 18. September 45
 

(Übertragung des Originalmanuskripts: Hans Gebhardt, Eckersdorf, Juli 2000)    

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