Wenn Ludwig Sütterlin in das Heimatmuseum in Kannawurf käme ...

    Von Alfred Waize, Berlin


    Wenn Ludwig Sütterlin (1865
    1917) heute nach Kannawurf käme, würde er im Heimatmuseum eine Schulklasse vorfinden, in der seine Schrift gelehrt und gelernt wurde. Aber das war Anfang der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts. Bereits 1915 erfuhr Ludwig Sütterlin, dass seine Schrift an allen preußischen Schulen eingeführt werden sollte. Von da an gingen in Kannawurf und anderswo in Preußen die Kinder in die Schule und lernten neben dem Einmaleins auch das Schreiben mit der Sütterlinschrift. Und da hieß es: „Rauf, runter, rauf, Pünktchen drauf.“ Und schon war der Buchstabe i fertig. In Kannawurf kann man es nachvollziehen. Die Sütterlinschrift feiert hier im Heimatmuseum fröhliche Auferstehung.

    Kannawurf liegt im Nordosten Thüringens und gehört zum Landkreis Sömmerda. Wer den Ort betritt, wird schnell den Weg zum Schloss am Schlossplan 1 finden und dort das Heimatmuseum aufsuchen. In einem ehemaligen Stallgebäude wurden in mühevoller Kleinarbeit ab 1995 landwirtschaftliche Geräte und Maschinen, ab 1997 noch viele Gegenstände der Hauswirtschaft, des Handwerks und der Schulen zusammengetragen und liebevoll hergerichtet. In einem Raum ist eine alte Schulklasse aus den 20er Jahren nachgebildet. Die Schulklasse zeigt eine mit Kreide und Sütterlinschrift beschriebene Wandtafel, wie dies vor 80 Jahren üblich war. Auf den Schülertischen liegt ein Schreibheft mit Schreibversuchen des ABC-Schützen, eine Schiefertafel, an der ein Schwamm an einer Schnur befestigt ist, eine Lesefibel der damaligen Zeit. Am oberen Ende der Schülertische sieht man einen Federkasten mit den Schreibstiften, daneben befindet sich der Deckel für den Tintenbehälter. Und man kann nachempfinden, wie hier der Lehrer ab und zu mit der Tintenkanne den Behälter füllte. An den Schultischseiten hängen Schulranzen herab. Natürlich gehört ein Schwamm dazu, der seitlich herausbammelt. Eine Tafel mit Großbuchstaben in Blockschrift zeigt, wie seinerzeit zugleich mit der Sütterlinschrift auch die Blockschrift gelehrt wurde. Aber auch der Lehrertisch verdient Beachtung. Er steht etwas seitlich neben der Wandtafel und enthält alles, was so ein Lehrer brauchte: Notenheft, Klassenliste, Lehrbücher und einen Rohrstock.

    Ludwig Sütterlin starb 1917. Seine Schrift wurde in allen Schulen noch bis 1941 gelehrt. Erst dann wurde sie durch die lateinische Schrift abgelöst.

    Während der Zeit, als unsere Schüler das ABC lernten, mit Block- und Sütterlinschrift die ersten Schreibversuche machten, Schiefertafeln mit einem besonders geeigneten Stift beschrifteten, Fehler mit dem angefeuchteten Schwamm beseitigten, entwickelten Sömmerdaer Ingenieure Anfang der 20er Jahre Schreibmaschinen mit Schrifttypen, die allgemein als Pica-Schrift bekannt war. Diese Schrift galt jahrzehntelang als Standardtype an allen Schreibmaschinen.

    Das Museum in Kannawurf und das künftige Historisch-Technische Museum in Sömmerda zeigen Zeugen dieser Entwicklung, regen zum Nachdenken an und bieten einen Einblick in die Schreibgewohnheiten der Menschen in früheren Zeiten.

     

     

    Veröffentlichung aus dem "Archiv für Stenografie, Textverarbeitung, Bürotechnik". © 2002 Forschungs- und Ausbildungsstätte für Kurzschrift und Textverarbeitung in Bayreuth E. V. Nachdruck oder anderweitige Verbreitung nur mit Genehmigung der Forschungs- und Ausbildungsstätte.