Brief von Franz Xaver
Gabelsberger an Johann Paul Posener
vom 18. September 1845
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Übertragung:
Franz Xaver G a b e l s b e r g e r an Johann
Paul P o s e n e r , Graz
Brief vom 18. September 1845
Hochschätzbarster teuerster Freund!
Es ist nun schon ein Monat, daß ich Ihnen Antwort auf Ihren liebevollen
Brief und Quittung für die gütigst übersandten 28 Gulden
20 Kreuzer schuldig bin, was zwar meinerseits eine große Vernachlässigung
ist, jedoch meinem Sondieren auf Ihre gütige Nachsicht und andererseits
meinen Geschäftsverhältnissen zuzuschreiben ist.
Ich hätte nämlich gern noch vor dem Beginn unseres Landtags
den schönen Herbst benützt, um durch eine kleine Luftveränderung
und Reise ins bayerische Gebirge meine Gesundheit noch ein wenig zu stärken,
allein, es lag noch ein großes Stück zusammenhängender
Arbeit vor mir, das vollendet werden mußte, bevor ich fortdurfte.
Ich mußte also vor allem trachten, mit diesem zu Ende zu kommen,
und wollte dann vor dem Weggehen Ihnen noch schreiben. Allein, ich hatte
mich leider verrechnet; ich mußte die letzte Nacht vor meiner bereits
bestimmten Abreise noch daran spannen, um meine Arbeit einrichten zu können,
und so ging es denn in Gottes Namen fort.
Ich begab mich auf 12 Tage nach
Oberaudorf und Kufstein, unterhielt mich ganz köstlich wie der Vogel,
der wieder einmal ins Freie fliegt, und nun heute, nach erfolgter Rückkunft,
ist es mein Allererstes, der Pflicht zu genügen, Ihnen meinen verbindlichsten
Dank abzustatten für die geschehene vollständige Gutschreibung
der Ihnen übersandten Lehrbücher, Stahlfedern und der Kopie des
Leitfadens im Gesamtbetrag von 93 Gulden 59 Kreuzern bayerischer Konvention.
Es tut mir leid und ist mir nicht recht, daß Sie schon so früh
das ganze Königs-Papieries berichtigt haben; jetzt kann ich die Schuld
auf Sie schieben, daß ich mir auf meiner Reise etwas mehr zuführen
tat, als es vielleicht sonst geschehen wäre. Sie sind aber auch dadurch
mein Rezept geworden, denn ich habe mich vortrefflich erholt, so daß
mir jetzt das Arbeiten nicht recht wieder von Herzen gehen will und lieber
das Faulenzen im Kopf haben möchte; ich besinne mich immer, wo ich
wieder anfangen soll.
Wegen Absatz der noch in Händen befindlichen
Lehrbücher glaube ich nicht, daß ich Sie mit der neuen Auflage
in Verlegenheit stürzen werde, denn diese liegt wohl noch im weiten
Feld; jetzt kommt die Ständeversammlung, dann aufs Jahr muß
erst der 2. Teil meiner Prädikatkürzungen ins Leben treten, und
endlich wird gewiß noch eine lange Zeit vergehen, bis ich imstande
sein werde, mit der neuen Auflage meines Lehrbuches hervorzutreten. Jedenfalls
würde ich Ihnen dann die etwa noch besitzenden Exemplare gegen neue
austauschen, denn ich könnte sie im äußersten Falle noch
zu Prämien verwenden, welche die Regierung hier jährlich auf
ihre Kosten unter die besten Schüler meines Kurses austeilen läßt.
Was Ihren gefälligen Bericht über Herrn Rigels abgenommene
Prüfung in der Stenographie sowie auch Herrn Heinrichs rühmliche
Beschreibung derselben betrifft, so habe ich mich von Herzen gefreut, daß
sie so vorteilhaft und genügend ausfiel. Ich sehe schon, der liebe
Heinrich, der sich sehr viel Mühe in der Sache gab, hat seinen väterlichen
Lehrer herausbeißen müssen, sonst hätte ein solches Resultat
nicht zum Vorschein kommen können; aber Herr Rigel möge bedenken,
daß dies für sein Unternehmen bloß ein günstiger
Zufall war, da er nicht immer solche Heinriche haben wird und auch nicht
alle Jahre mit einem und demselben auftreten kann, sondern daß er
in künftigen Jahren sich solche wirklich selbst heranbilden muß.
Dies aber kann nur geschehen, wenn er den von mir gezeichneten, methodisch
begründeten Gang einhält und nichts überspringt, was folgenreich
auf die spätere Entwicklung der höheren Vorteile der Kunst einwirkt.
Wenn in dem mir gütigst übersandten Aufsatz der Styria von der
Stenographie als von einer Wissenschaft und nicht bloß von einer
mechanischen Kunstfertigkeit zu wiederholten Malen gesprochen wird, so
soll er die Sache auch wirklich von Anfang bis zum Ende wissenschaftlich
behandeln und sich nicht einzig an die mechanische Ausbeute halten, die
mein System allenfalls auch dem Ungebildeten gewähren kann, sonst
wird er im günstigsten Falle nur solche Schüler erziehen, die,
wie z. B. in der Arithmetik nur nach bestimmten Formeln Rechnen gelernt
haben, aber dann bei jeder die Aufgabe verändernden Kleinigkeit steckenbleiben
und ihr Verfahren auf keinen Beweis zu stützen wissen. Die Kunst muß
immer weitergehen, wenn sie in das Gebiet der Wissenschaft übertreten
und sich als solche Geltung und Anerkennung erwerben will.
Da jedoch die
Stenographie in ihrer wissenschaftlichen Begründung und Entwicklung
allerdings mehr Zeit in Anspruch nimmt als ein oberflächliches mechanisches
Einlernen derselben, so wird Herr Rigel notwendigerweise seinen Unterricht
auch künftig in zwei Semestralkurse abteilen müssen, in einen
Anfangs- und in einen Ausbildungskurs. In dem ersten wird er die Buchstaben
des Alphabets in ihren einfachen Bezeichnungen und Wirkungen als Lautbilder,
dann in ihrer potenzierten Bedeutung als Sigel und Formträger der
grammatikalischen Bestandteile der Worte gründlich und unter beständiger
Hinweisung auf in der Sprache selbst gegebene Vorbilder erklären,
dann ihre mechanische Verbindung zu Silben und Wortformen einzuüben,
die vorteilhafte Kombination der verschiedenen Sprachpartikel durchzunehmen
und endlich nach vollständiger Entwicklung der Vorteile der Deklination und Konjugation sich bloß auf
leichte Lese- und Schreibübungen zu beschränken haben, bei welchen
der Schüler Gelegenheit findet, sich vorerst in der stenographischen
Kalligraphie und Orthographie zu befestigen, bevor er zu dem eigentlichen
Schnellschreiben übergeht.
Der Schüler muß zuerst alle
prinzipiellen Regeln und Vorteile mit Sicherheit anwenden, seine eigene
Schrift gut lesen und während des Lesens derselben seine gemachten
Fehler erschauen lernen, ehe er mit Nutzen und Vorteil zum eigentlichen
Schnellschreiben angehalten werden kann, sonst verdirbt er sich die Hand
und gewöhnt sich eine Menge Fehler an, die er später nur mit
der größten Mühe und Schwierigkeit wieder sich abgewöhnen
kann; er schreibt eine unleserliche, fehlerhafte, weitläufige Schrift,
so daß er sich nie vollkommen darauf verlassen kann, einem fertig
sprechenden Redner wirklich zu folgen und das Notierte genau und mit Sicherheit
wiedergeben zu können; und kommt er mit Schnellschreiben ins Gedränge,
dann verliert er die Besinnung, die Vorteile, die ihm zu Gebote stehen,
auch gleich anzuwenden was ist dann mit solchem Jagen gewonnen? – Ist aber
mit Ende eines solchen Kurses, wobei man es dem ungeachtet schon zu einem
mäßigen Diktando bringen kann, ein guter Grund gelegt, dann
kann man im 2. Semester getrost an die weitere Ausbildung gehen; es ist
eine sichere Basis gewonnen, die Schüler gehen mit mehr Mut und Selbstvertrauen
daran, sie lassen in ihrem Eifer nicht mehr nach, sondern er steigert sich.
Das sehen Sie an Ihrem lieben Heinrich, von dem ich jetzt mir nichts wünsche,
als daß er sich von nun an einerseits recht fleißig übt,
auch kalligraphisch zu stenographieren und munter alle Regeln der Abkürzung
sich nach und nach zur Gewohnheit zu bringen; das Schnellschreiben ergibt
sich dann schon von selbst; es wird sich für ihn noch Gelegenheit
genug geben, sich in der ernsten Anwendung darin zu üben.
Ich bin so frei, ein eigenes Briefchen für ihn wieder beizulegen
und will mich freuen, wenn er sich in der Vakanz gut gestärkt hat,
um wieder in einem neuen Schuljahr seine Bahn rühmlich zu durchlaufen,
was ich ihm von Herzen wünsche.
Im übrigen wünsche ich auch Ihnen, recht wohl zu leben und
gesund zu bleiben, indem ich mich samt den Meinen Ihrer ferneren Freundschaft
aufs herzlichste empfehle. Mit der innigsten Verehrung verbleibend
Ihr verbundenster Freund Gabelsberger
München, den 18. Sept. 1845
(Übertragung des
Originalmanuskripts: Hans Gebhardt,
Eckersdorf, August 2000)
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